Idiotentest gefälscht: Ehepaar muss ins Gefängnis
Trotz Fußfesseln schreitet der 39-jährige Angeklagte betont dynamisch in den Saal und springt die Stufe zur Anklagebank hinauf. Weißes Hemd, Krawatte, grau meliertes Haar – als erfolgreicher Geschäftsmann gefällt sich der ehemalige Bauarbeiter.
Seinen Job hat er schon 2009 an den Nagel gehängt, denn die Geschäfte liefen gut: Gemeinsam mit seiner ebenfalls angeklagten Frau bereitete der Mann aus Schramberg im Schwarzwald seine Kunden, die wegen Alkohols oder Drogen den Führerschein verloren hatten, auf die anstehende medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) vor. Mit hundertprozentiger Erfolgsgarantie und Rundum-Sorglos-Paket: gefälschte Laborbefunde, erfundene Gutachten und stundenlang einstudierte Märchengeschichten für den MPU-Gutachter beim sogenannten "Idiotentest". Kosten: zwischen 1200 und 1500 Euro.
Gestern nun gibt es vom Landgericht Rottweil die Quittung: Wegen gewerbsmäßiger Urkundenfälschung in 102 Fällen wird der 39-Jährige zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, seine 36-jährige Frau in Mittäterschaft zu drei Jahren.
In der Urteilsverkündung erklärt der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer, dass es den Angeklagten leicht gemacht worden sei bei ihren Taten: Die Urkunden und Befunde manipuliert und fälscht der Angeklagte mit der standardmäßigen "Paint"-Software und druckt sie am Farbdrucker aus.
Was Original und Fälschung ist, kann später nicht einmal der Staatsanwalt bei Durchsicht der Akten erkennen, wie er einräumt. Und bei den MPU-Stellen fallen die gefälschten Unterlagen erst recht niemandem auf. Nachfragen in Hunderten von Fällen, die vom Schramberger Ehepaar "vorbereitet" werden: null. Zahlreiche Zeugen bestätigen im Laufe des Prozesses, dass nie etwas aufgefallen sei. Zwischen 2008 und 2012 berät das Ehepaar laut Aktenlage rund 350 führerscheinlose Verkehrssünder, die Kunden kommen zunächst aus dem Landkreis Rottweil, später weitet sich das Einzugsgebiet aus. Das "Erfolgsmodell" spricht sich herum.
Der Angeklagte verliert selbst den Führerschein wegen Alkohols
Die Ehefrau und Mutter zweier Kinder sorgt dafür, dass die Termine bei besonders unkritischen MPU-Gutachtern stattfinden. "Terminwünschen wurde bereitwillig nachgekommen", ergibt die Beweisaufnahme. Die Verteidigerin der Angeklagten glaubt zu wissen, warum: "Die ganze MPU ist eine einzige Farce", wird sie in ihrem Plädoyer deutlich. In keinem anderen EU-Land gebe es die medizinisch-psychologische Untersuchung, die nichts anderes sei als "ein großer Markt".
Die MPU-Stellen verdienten daran ebenso gut wie Labore und Gutachter. Es bestehe, wer sich am besten vorbereite und die schlausten Antworten gebe. Und mit der "Erfolgsgarantie" werben Anbieter landauf, landab: MPU-Coach, MPU-Beratung, MPU-Training – ihren Führerschein lassen sich die Menschen einiges kosten.
Dass der Angeklagte 2008 ausgerechnet im Bereich der MPU ein "Geschäftsmodell" wittert, kommt nicht von ungefähr. Schon als er Ende der 90er-Jahre mit seiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland kommt, stehen Alkoholprobleme im Vordergrund, wie in der Verhandlung deutlich wird. Der Angeklagte verliert selbst den Führerschein wegen Alkohols und durchläuft das ganze MPU-Prozedere. Über einen Bekannten hört er außerdem von einem Institut in Goslar, in dem man im Handumdrehen ein Diplom für Psychotherapie erlangen kann – ein wichtiger Pfeiler für das neue Geschäftsmodell, von dem er seine Frau nicht lange zu überzeugen braucht.
"Er hat bei uns das Sagen", erklärt die schüchtern wirkende Frau mehrfach vor Gericht. Er verfügt, dass sie zur "psychotherapeutischen Heilpraktikerin" wird – sie gehorcht, und stellt nach dem Crash-Kurs künftig Bescheinigungen über psychologische Gespräche mit den Kunden aus, die es nie gegeben hat.
Der Staatsanwalt schildert in seinem Plädoyer ausführlich die Einzelheiten des Geschäftsmodells: In der heimischen Wohnung wird kurzerhand ein "Institut für psychologische Hilfe" gegründet, dazu eine Hauskreisgruppe namens "Nüchterner Weg", deren Leiter der alkoholabhängige Angeklagte ist. Gruppensitzungen werden für die erforderlichen Bescheinigungen frei erfunden.
In einem eigens eingerichteten Büro fälscht der 39-Jährige die Urkunden und Laborbefunde, am Schreibtisch nebenan pflegt seine Frau die Kontakte zur Führerscheinstelle wegen der erforderlichen Akteneinsicht, koordiniert Termine und führt Buch über die beträchtlichen Einnahmen. Der Staatsanwalt sieht das Gewinnstreben im Vordergrund. "Es musste immer mehr sein." Kein Wunder also, dass der Angeklagte nach Kündigung seines Jobs auch noch Arbeitslosengeld bezieht. Trotz Tausenden von Euros in der Familienkasse.
Nur weil das Ehepaar außerdem mit illegal hergestellten und an der Steuer vorbeigeführten Zigaretten handelt und gleich 4500 Stangen in einer Schramberger Garage von der Polizei beschlagnahmt werden, fliegt das Treiben im Mai 2012 auf. Bei der Hausdurchsuchung werden 81 Aktenordner mit Unterlagen der MPU-Kunden beschlagnahmt, außerdem zahlreiche Computerdaten. Wegen Steuerhehlerei werden die beiden Ende 2012 zu Haftstrafen verurteilt, die nun ins Urteil einbezogen werden.
Immer wieder Thema ist im Gerichtssaal die Persönlichkeit des Angeklagten. Ein Gutachter attestiert ihm eine dissoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung. Er will der große Macher sein, etwas darstellen. Nur so sei wohl auch zu erklären, so der Staatsanwalt, dass er sich innerhalb von zwei Jahren drei BMW kaufte. "Der billigste lag bei 50?000 Euro." Außerdem sponsorte der Angeklagte einen kasachischen Boxclub, unterstütze aber auch seine schwer kranke Schwester in der Heimat.
Mit dem Urteil liegt die Erste Große Strafkammer des Landgerichts unter der Forderung des Staatsanwalts, der fünf Jahre und sechs Monate für den Ehemann sowie drei Jahre und vier Monate für die Ehefrau fordert. Die Persönlichkeitsstörung sei bei der Urteilsfindung nicht erheblich ins Gewicht gefallen, so der Vorsitzende Richter, wohl aber das umfassende Geständnis beider Angeklagter, was den Prozess erheblich beschleunigt habe. Es sei deutlich geworden, dass sie ihre Taten bereuen, alle vorhandenen Werte wurden von der Polizei abgeschöpft. Nach dem Gefängnis warte ein Schuldenberg. Die lange Trennung von den Kindern und die Auswirkungen für den behinderten Sohn seien ebenfalls berücksichtigt worden.
Außerdem hat der Mann, der laut Polizei "eine hochrangige Persönlichkeit innerhalb der russlanddeutschen Subkultur im Bereich Schwarzwald" sei, in der Haft keinen leichten Stand. Er muss Repressalien befürchten und wird abgesondert untergebracht, heißt es in einem Schreiben des Gefängnisleiters. Unter den Inhaftierten sind auch ehemalige Kunden, die nicht gut auf das Ehepaar zu sprechen sind: Ihren Führerschein sind sie nach Bekanntwerden des Schwindels wieder losgeworden, ebenso ihr Geld. Inzwischen laufen erste Schadensersatzforderungen.
Für einen Kunden jedoch kommt dies alles zu spät: Er hat seinen Führerschein mit Hilfe der krummen Geschäfte des Ehepaares zurückbekommen und verunglückte im Februar 2012 mit Alkohol am Steuer tödlich.
Quelle: Schwarzwälder Bote