Der Promille-Irrtum
Ein Trinkversuch der ADAC Motorwelt zeigt: Kaum ein Autofahrer kann einschätzen, wann er wie viele Promille hat und was dann am Steuer passiert. Der Beweis: Atemalkohol-Tests und Fahrproben im Simulator.
15 Probanden unterschiedlichen Alters und Gewichts haben sich für die ADAC Motorwelt im Münchner Löwenbräukeller zu einem Trinkversuch eingefunden. Bei einem netten Abendessen mit Bier, Wein und Schnaps soll getestet werden, wie gut jemand seine Promillewerte einschätzen kann, wie lange er noch fahrfähig ist und was es bedeutet, wenn er sich mit Alkohol ans Steuer setzt. Dafür stellte der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (B.A.D.S.) einen Fahrsimulator zur Verfügung, der, so Moderator Manfred Bürger, „normalerweise an Schulen eingesetzt wird, um jungen Leuten und Fahranfängern zu demonstrieren, was ihnen passiert, wenn sie alkoholisiert fahren würden“.
Wissenschaftlicher Begleiter unseres Versuchs ist Dr. Florian Fischer vom Münchner Institut für Rechtsmedizin, der die Atemalkohol-Messungen bei den Teilnehmern durchführt. Eine erste Umfrage in der fröhlichen Runde zeigt: Nur sehr wenige schätzen ihre Promille richtig. Einige, die sich nach dem ersten Drink auf nüchternen Magen etwas beschwipst fühlen, nennen viel zu hohe Werte. „Das ist normal“, sagt Dr. Fischer, „weil die Anflutung des Alkohols schneller geht. Erst wenn man etwas isst, verzögert sie sich.“ Andere wiederum, die sich noch fit fühlen, tippen zu niedrig. So wie Beate. Die 48-Jährige glaubt, dass sie nach einem Glas Wein und einem Schnaps mit „höchstens 0,4 gerade noch so nach Hause fahren“ kann. Ein fataler Irrtum: Tatsächlich hat sie 0,6 und liegt so über der gesetzlichen 0,5-Grenze. Ihr Ergebnis im Fahrtest: Auf 4,12 Kilometern dreimal zu schnell, zweimal die Fahrbahn verlassen. „Oje, das passiert mir garantiert nie mehr.“ Trotzdem soll sie – zu Demonstrationszwecken für alle Probanden – durch einen Härtetest. Moderator Bürger gibt ihr im Simulator sozusagen virtuell ein Promille obendrauf, sodass Beate nicht nur den Führerschein verlieren würde (ab 1,1), sondern mit 1,6 auch zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) müsste. Das erschreckende Protokoll ihrer vier Kilometer: Frontalzusammenstoß mit einem Lkw, ein Wildunfall, viermal zu schnell, achtmal die Fahrbahn verlassen. Bürger: „Das überlebt keiner.“
Drei Dinge werden hier bereits deutlich: Alles, was über 0,5 liegt, ist brandgefährlich. Ebenso der Versuch, sich an die Promillegrenze heranzutrinken. Und: Viele Frauen glauben, dass sie etwa genauso viel vertragen wie Männer. „Falsch“, sagt Dr. Fischer, „Frauen haben zwar meist mehr Fettgewebe, aber Alkohol ist nur in Wasser löslich. Und davon haben Männer deutlich mehr im Körper, der Alkohol wird stärker verdünnt. Deshalb bauen Frauen mehr Promille auf und langsamer wieder ab.“
Das merkt auch die zierliche Annika. „Ich fühle mich nach einem Wein und einem Schnaps total angetrunken.“ Sie tippt (völlig richtig) auf 0,8, und der Beweis kommt im Fahrsimulator: Reh überfahren, siebenmal von der Straße abgekommen. Als Bürger eine 1,6-Promillefahrt simuliert, gibt die 28-Jährige nach 30 Sekunden auf: „Das geht nicht, mir wird schlecht.“
Besser so, als die Reaktion von Klaus. Der 43-jährige Berufspendler, der nie mehr als ein Bier trinkt, wenn er mit dem Wagen unterwegs ist, fühlt sich mit jedem Bier stärker. „Je mehr ich getrunken habe, desto besser fahre ich“, glaubt er mit 1,1 Promille. Zwar hat er im Simulator noch recht gute Reaktionszeiten, was er aber nicht so richtig mitkriegt: Parkenden Autos am Straßenrand rasiert er die Seitenspiegel ab, Begrenzungspfähle auf der Landstraße werden weggekickt, und rote Ampeln haben auch keine Chance. Mit dem Simulator-Protokoll in der Hand kommt die tiefe Zerknirschung. „Nur gut, dass ich im wirklichen Leben niemals gefahren wäre.“
Was Alkohol im Körper bewirkt
Verzögerte Reaktionen, Sehstörungen und erhöhte Risikobereitschaft – das alles kann für Autofahrer fatale Folgen haben.
Ab 0,3 Promille: Erste Beeinträchtigungen des Sehfelds, falsche Einschätzung von Geschwindigkeit und Entfernungen. Mögliche Folge: Fehler bei Überholmanövern, zu dichtes Auffahren.
Um 0,5 Promille: Beginnende Enthemmung, größere Sehstörungen, verspätete Wahrnehmung roter Ampeln oder Bremsleuchten (Rotlichtschwäche), Gleichgewichtsstörungen. Mögliche Folgen: Fahrfehler in Kurven (Geradeausfahren, Übersteuern), Flüchtigkeitsfehler (Fahren ohne Licht, rechts blinken, links fahren), hilfloses Reagieren in unerwarteten Situationen.
Ab 0,8 Promille: Deutliche Enthemmung, eingeengtes Gesichtsfeld (Tunnelblick), Kritikschwäche, verminderte Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Kombinationsfähigkeit.
Ab 1,0 Promille: Sprachstörungen, erhöhte Risikobereitschaft und Aggressivität, erhebliche Verlängerung der Hell-Dunkel-Anpassung der Augen, verschärfter Tunnelblick – oft Ursache für Vorfahrtfehler oder Streifen parkender Autos am Fahrbahnrand.
Ab 1,6 Promille: Stärkere Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, erstes Lallen, heftiges Über- und Untersteuern führt zu Schlangenlinien. Erhebliche Unfallgefahr durch Abweichen von der Straße oder Wechseln in den Gegenverkehr.
Quelle: ADAC