Streitigkeiten im Strassenverkehr
Alter schützt vor Torheit nicht. Das Sprichwort scheint wie gemacht für den 72-jährigen Autofahrer aus München. Als er an einem in zweiter Reihe geparkten Pkw vorbeiwill,
...trifft er an der Engstelle auf einen Radler. Beide passen nicht durch, der Ältere droht, den Radfahrer umzufahren, und rollt mit dem Pkw ganz nah an den anderen heran. Als der ausweicht, ruft ihm der Rentner im Vorbeifahren noch „Du altes A...loch!“ zu.
Eine alltägliche Verkehrssituation, die eskaliert. Das passiert leider gar nicht so selten. Den uneinsichtigen Ruheständler kostete der Ausraster 1600 € wegen Beleidigung und Nötigung. In diesem Fall hielt das Gericht sogar ein zusätzliches einmonatiges Fahrverbot für angebracht. Das zeigt: Beleidigungen sind kein Kavaliersdelikt. Rechtlich gesehen liegt eine Straftat vor (§ 185 StGB), die mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden kann. Bei Tätlichkeiten sogar bis zu zwei Jahren.
Für deftige Gesten und verbale Entgleisungen gibt es keinen einheitlichen Strafkatalog. Der Geldbetrag wird in Tagessätzen berechnet. Ein Tagessatz ist der 30. Teil eines Monatsnettoeinkommens. Das heißt, je mehr der Verurteilte verdient, desto mehr zahlt er. Ex-Fußballer Stefan E?enberg musste vor einigen Jahren für ein „A...loch“ gegenüber einem Polizeibeamten 10.000 € berappen – deutlich mehr als der stänkernde Rentner. Im Normalfall werden Beleidigungen im Straßenverkehr mit 20 bis 30 Tagessätzen bestraft. Eine Besonderheit: Haben sich zwei Streithähne während ein und derselben Auseinandersetzung gegenseitig beschimpft, kann das Gericht die Ausfälligkeiten gegeneinander aufrechnen und beide freisprechen (§ 199 StGB).
Punkte in Flensburg gibt es für solche Beschimpfungen nicht mehr. Mit der Systemreform 2014 ist diese zusätzliche Bestrafung entfallen. Was werten die Richter als Beleidigung? In der „Hitliste“ ganz oben stehen der gestreckte Mittel?nger und eine Litanei an Fäkalausdrücken. Einmal in Rage, vergessen viele Autofahrer o?enbar ihre Kinderstube. Um darüber zu berichten, müssen wir die Dinge hier beim Namen nennen: „Drecksvieh“, beschimpfte ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer einen anderen. 700 € Geld- strafe waren da fällig. Für „Schlampen, ihr elendigen!“ gegenüber einer Politesse hagelte es 1000 €, für „A...loch, Vollidiot, Depp, Hundskrüppel“ zusammen 1200 €. Ein Autobesitzer, der einen Lkw-Fahrer mehrfach als „Hurensohn“, „Bastard“, „Hurenbock“ ti- tuliert hatte, zahlte 1600 € (weitere Strafen siehe Kasten rechts). Ein Polizist muss sich auch nicht als „Clown“ oder „Mädchen“ beschimpfen lassen, ebenso wenig als „Verbrecher“ oder „begnadeten Vollpfosten“. Beleidigend können in diesem Zusammenhang auch Pkw-Aufkle- ber sein. Eine Politesse fühlte sich von dem Sticker „Fick dich, Zettelpuppe“ ver- unglimpft. Der Autobesitzer musste dafür 600 € blechen.
„Emotionale Reaktionen auf Bußgelder sind normal“, sagt Polizeihauptmeister Tim Bollendorf aus Nürnberg. „Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Beschimpfungen zunehmen. Insgesamt geht die Einsicht für eigenes Fehlverhalten bzw. das Verständnis für unsere Arbeit verloren. Kürzlich wurden wir wegen einer Straßensperrung für eine Veranstaltung von einem Autofahrer als ,Spinner‘ bezeichnet. Das wurde natürlich angezeigt.“
Entgegen landläu?ger Meinung wird die Beleidigung eines Beamten nicht härter bestraft als die einer Privatperson. Der Unterschied: Polizisten und Politessen erstatten meist zusammen mit ihrem Dienstvorgesetzten Anzeige. Aber nicht jede Entgleisung ist strafbar. Ein „Das ist doch Korinthenkackerei“ zu einem Gemeindebeamten, der einen Strafzettel ans Auto klemmte, blieb kostenlos; der Autofahrer wurde freigesprochen. Hier überwog laut Urteil das Grundrecht, seine Meinung frei zu äußern. Ein Gericht erlaubte auch „Sie können mich mal ...“ im Sinne von „Lass mich in Ruhe“. „Oberförster“, „Bulle“ (je nach Kontext) und „Wegelagerer“ werteten andere Richter ebenfalls nicht als Beleidigung.
Strafe oder Freispruch? Wer es nicht so weit kommen lassen will, dem hilft ein simpler Psychotrick: einfach in Gedanken ausmalen, was Sie sich statt der Geldstrafe leisten würden.
Text: Petra Zollner
Das Konfliktpotential steigt
ADAC Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino erklärt warum wir im Auto ausrasten
Motorwelt: Beleidigungen im Straßenverkehr – warum kochen die Emotionen hinterm Steuer so schnell hoch?
Ulrich Chiellino: Das hat mehrere Ursachen. Zum einen fühlen wir uns im geschlossenen Fahrzeugraum sicher vor negativen Konsequenzen. Also niemand wird uns für unsere verbale Attacke unmittelbar zur Rechenschaft ziehen. Zum anderen ist die Zündschnur etwas kürzer als im Alltag, da wir uns im Straßenverkehr gern im Recht sehen und somit die Aufregung umso größer ist.
Nur gefühlt? Nehmen Beleidigungen auf der Straße zu?
Belegen lässt es sich nicht. Aber durch die Verdichtung der Verkehrsräume steigt auch das Kon?iktpotenzial. Wenn dann noch der Zeitdruck wächst, ist die Frustrationstoleranz schnell aufgebraucht. Insofern ist die gefühlte Wahrheit zumindest eine plausible Emp?ndung.
Wie kann man sich selbst und seine Aggressionen hier besser kontrollieren?
Es gab einen musikalischen Verkehrsminister, der CDs mit seinem Klavierspiel an Verkehrsteilnehmer verteilte. Das kann helfen, wenn man Klassik mag. Für alle anderen gilt: Auch wenn man sich meistens im Recht fühlt, einfach mal durchatmen und – wenn möglich – ausreichend Zeit zur Zielerreichung einplanen. Dann klappt es auch im Auto wieder (öfter) mit dem Lächeln.
Quelle: ADAC