Ist bei der Messung des Alkohols in der Atemluft die Kontrollzeit von 10 Minuten nicht eingehalten, weil sich in der Mundhöhle eine Fremdsubstanz befand, kann das Messergebnis gleichwohl verwertbar sein,...
... wenn der Grenzwert von 0,25 mg/I nicht unerheblich (etwa 20%) überschritten ist und ein Sicherheitsabschlag vorgenommen wird. In diesen Fällen bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (abweichend von OLG Hamm, Beschl. v. 24.1.2008 - 2 Ss OWi 37/08 -, VRS 114, 292).
OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.7.2010, 4 Ss 369/10
Aus den Gründen:
I. Das AG verhängte gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die 0,5 Promille-Grenze eine Geldbuße von 1.200 € und setzte ein Fahrverbot von 3 Monaten fest. Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am 20.8.2009 gegen 1.55 Uhr mit seinem Pkw. Er hätte erkennen können, dass er in Folge vorangegangenen Alkoholkonsums eine Alkoholmenge im Körper hatte, die das im Straßenverkehr zulässige Maß von 0,25 mg/l überschritten hatte. Zwei Atemalkoholmessungen, durchgeführt um 2.22 Uhr und 2.25 Uhr, ergaben Konzentrationen von 0,301 mg/l und von 0,297 mg/I.
Der Betroffene hat eingeräumt, Alkohol vor der Fahrt zu sich genommen zu haben, jedoch in geringem Maße. Während der Fahrt und der gesamten Kontrolle habe er einen Kaugummi im Mund gehabt. Dies stelle - so das AG - jedoch die Richtigkeit der Messergebnisse nicht in Frage. Zwar sei es nach der Aussage des Polizeibeamten, der die Kontrolle durchgeführt habe, bereits fraglich, ob der Betroffene tatsächlich während der Kontrolle und bei Durchführung der Messungen einen Kaugummi im Mund gehabt habe. Jedenfalls habe der Zeuge ausschließen können, dass der Betroffene gekaut habe. Das AG hält auf der Grundlage dieser Angaben die Messungen für verwertbar. Hierzu hat es einen Sachverständigen gehört, dem es folgt. Es legt hierzu dar:
„Der Sachverständige führte aus, dass, die Richtigkeit der Angaben des Betroffenen unterstellt, zwar die Durchführungsbedingungen für das ALCOTEST-Messgerät Dräger nicht eingehalten seien, da in den letzten 10 Minuten vor der Durchführung der Messung keine fremde Substanz in die Mundhöhle gelangt sein dürfe, dies jedoch vorliegend nicht zu einer Verfälschung des Messergebnisses führe, das außerhalb der erlaubten Messschwankungsbreiten liegt. Derartige Verfälschungen seien bislang bei keiner der untersuchten Fremdsubstanzen festgestellt worden. Zwar sei zu berücksichtigen, dass die Untersuchungen zum Einfluss von Fremdsubstanzen in der Mundhöhle bei Atemalkoholmessungen bislang überwiegend bei alkoholnüchternen Probanden durchgeführt worden seien, so dass bei bereits alkoholisierten Probanden unter Umständen eine Zuordnung geringfügig abweichender Werte zu unvermeidbaren Messfehlerschwankungen oder durch die Fremdsubstanz verursachten Verfälschungen nicht sicher erfolgen könne, jedoch sei von Abweichungen von maximal 0,02 mg/l auszugehen.
Eine solche Abweichung sei lediglich bei Untersuchungen nach dem Konsum eines "Fishermans's Friend"-Bonbons festgestellt worden; bei sämtlichen anderen Fremdsubstanzen wie Kaugummis und Lutschbonbons sei es zu keinen Verfälschungen gekommen. Der Sachverständige führte überdies aus, dass sich beim bloßen Lutschen an einem Kaugummi oder einem Bonbon weitaus weniger Fremdsubstanzen in der Mundhöhle lösten, als dies beim Kauen der Fall sei. Nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Untersuchungen sei daher vorliegend unter Zugrundelegung der Aussage des Zeugen von keiner Beeinflussung des Messergebnisses beim Betroffenen auszugehen. Die Trinkeinlassung des Betroffenen passe überdies mit der festgestellten Atemalkoholkonzentration keinesfalls zusammen. Würde sie stimmen, sei bei der Messung ein Ergebnis von 0, I bis maximal 0,2 Promille zu erwarten gewesen. Insgesamt bezeichnete der Sachverständige daher die Einlassung des Betroffenen als unstimmig."
Der Betroffene hat gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet. Insbesondere macht er geltend, die Messung sei infolge Nichteinhaltung der Kontrollzeit von 10 Minuten unverwertbar.
II: Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Gemäß § 24 a Abs. 1 und 3 StVG handelt ordnungswidrig, wer im Straßenverkehr fahrlässig ein Kfz führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft hat. Für die Verwertbarkeit einer Atemalkoholmessung ist wesentlich die Einhaltung der sog. Kontrollzeit von 10 Minuten vor der Messung. Während dieser Zeit darf der Betroffene keine die Messung möglicherweise beeinflussenden Substanzen zu sich nehmen oder mit ihnen umgehen. Dazu gehört neben Essen, Trinken und Rauchen auch die Anwendung von Mundwasser, Spray u.a. (so Schoknecht, Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse; Gutachten des Bundesgesundheitsamtes, 1992, S. 12). Wird neben anderen Bedingungen wie insbesondere der Einhaltung der Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und Beginn der Messung die Kontrollzeit eingehalten, bedarf es keines Sicherheitsabschlages vom Ergebnis der Messung (BGHSt 46, 358 [367J = VerkMitt 2001 Nr. 68). Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Kontrollzeit nicht eingehalten wird, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Ansicht des OLG Hamm (VRS 114, 292 [294]) ist die Messung insgesamt unverwertbar und kann nicht etwa mit einem Sicherheitsabschlag verwertet werden. Das OLG Bamberg (BA 45, 197) schließt sich dem jedenfalls für den Fall an, in dem der Grenzwert gerade erreicht ist (in dem zugrundeliegenden Fall 0,253 mg/I). Der Senat hält ebenso wie in dem Fall, in dem die Wartezeit von 20 Minuten nicht eingehalten ist, eine generelle Unverwertbarkeit der Messung für nicht angezeigt. Bei jener Fallgruppe wird eine Unverwertbarkeit dann nicht angenommen, wenn der gemessene Atemalkoholwert weit (etwa 20 %) über dem Grenzwert liegt. In diesem Fall sei durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob die mit der Nichteinhaltung der Wartezeit verbundenen Schwankungen der Messwerte durch einen Sicherheitsabschlag ausgeglichen werden können (so etwa OLG Celle NZV 2004, 318; OLG Karlsruhe VRS 107, 52 und NStZ-RR 2006, 250; Hentschell König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 24 a StVG Rdnr. 16a). Aus dem Gutachten von Schoknecht (a. a. 0.) ergibt sich nicht, dass die Messung in jedem Fall unverwertbar ist, wenn die Kontrollzeit von 10 Minuten nicht eingehalten worden ist. Hierdurch soll lediglich ausgeschlossen werden, dass der Proband keine die Messung möglicherweise beeinflussenden Substanzen zu sich genommen hat. Beispielhaft werden Mundwasser und Spray genannt (in denen alkoholische Substanzen enthalten sein können). Hieraus folgt, dass die Messungen im Einzelfall trotz Nichteinhaltung der Kontrollzeit aussagekräftig sein können. Da die Bedingung der Einhaltung der Kontrollzeit nicht eingehalten worden ist, ist aIlerdings ebenso wie bei der Nichteinhaltung der Wartezeit ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen (vgl. BGH a .a. 0.). Eine Verwertbarkeit der Messungen wird daher nur dann in Betracht kommen, wenn der Grenzwert des § 24a Abs. I StVG nicht nur geringfügig überschritten worden ist, weshalb eine Verwertbarkeit in den Fällen des OLG Bamberg (a. a. 0.) und des OLG Karlsruhe (VRS 107, 52) ausscheidet (dortige Werte 0,253 und 0,260 mg/l). Der weitergehenden Ansicht des OLG Hamm (a. a. 0.) folgt der Senat nicht. Um diese Fragen zu klären, bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen, der sich auch zu Höhe des Sicherheitsabschlages zu äußern hat.
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Messergebnisse verwertbar. Nach den Feststellungen des AG ergaben die um 2.22 Uhr und 2.25 Uhr erhobenen Messungen im Schnitt Atemalkoholkonzentrationen von 0,301 mg/l und 0,297 mg/l, 1m Schnitt somIt 0,299 mg/I. Der Grenzwert von 0,25 mg/I ist somit nicht nur geringfügig, sondern um etwa 20 % überschritten. Deshalb ist der Weg eröffnet, mit Hilfe eines Sachverständigen die Messungen für zuverlässig einzuschätzen. Dem ist das AG vorliegend nachgekommen. Aus den Ausführungen des Sachverständigen kann in nachvollziehbarer Weise gefolgert werden, warum die Proben gleichwohl verwertbar sind. Der Sicherheitsabschlag von 0,02 mg/l ist angemessen. Damit liegt kein Verwertungsverbot vor.
III. Das Rechtsmittel ist auch im übrigen unbegründet. Das AG durfte in Abweichung von Nr. 241.1 der Anlage zur BKatV angesichts der massiven Voreintragungen des Betroffenen die Geldbuße von 1.000 € auf 1.200 € erhöhen. Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt hierin nicht.