Das Methadon liegt gesichert im Tresor.
Kein Unbefugter darf drankommen. Sonst sind Dr. Andreas Schaffert und Dr. Eiko Schnaitmann dran. Denn die beiden Fachärzte verabreichen ihren Patienten mit der täglichen Methadon-Dosis eine Droge mit Suchtpotenzial.
ln ihrer Praxis in der Heilbronner Salzstraße versorgen sie mehr als 450 Drogenabhängige mit der legalen Ersatzdroge - die hilft, wieder ein geregeltes Leben zu leben, ohne Entzugsdruck und Beschaffungskriminalität. Viele können dank Methadon wieder arbeiten.
Ein Teil der Patienten muss weite Wege zurücklegen. „Manche nehmen eineinhalb Stunden Fahrzeit auf sich“, weiß Schaffert. Kein Wunder, dass manche Methadon-Patienten dorthin ziehen, wo sie täglich zur Behandlung müssen: in die Stadt Heilbronn.
Das wiederum missfällt der Heilbronner Stadtverwaltung. „Wir können in Heilbronn nicht die ganze Region mitversorgen“, stellte Bürgermeisterin Agnes Christner kürzlich im Sozialausschuss klar. Die Statistik zeigt, dass die Zahl der in Heilbronn medizinisch behandelten Substituierten zunimmt, weil immer mehr Suchtkranke aus benachbarten Landkreisen hierher kommen.
Gescheitert
Daran konnte auch eine 2005 vom Heilbronner Gemeinderat verabschiedete Rahmenkonzeption Methadonsubstitution nichts ändern: In zwölf Jahren ist es nicht gelungen, eine zweite, wohnortnahe Schwerpunktpraxis für Landkreisbewohner zu etablieren. Überlegungen, das SLK-Klinikum am Plattenwald ins Boot zu holen, scheiterten an „unterschiedlichen Interessenlagen“. Die Praxis Schaffert/Schnaitmann konnte einen zweiten Standort im Landkreis nicht realisieren - mangels Personal. Seit vor drei Jahren in Mosbach eine Praxis polizeirechtlich geschlossen wurde, kommen deren Patienten zur Behandlung in den Stadt- und Landkreis Heilbronn. Ein Arzt in Zaberfeld stellte im vergangenen Jahr die Behandlung ein. 2017 werden voraussichtlich zwei weitere Ärzte mit Zusatzausbildung altersbedingt aufhören. Einige wenige niedergelassene Ärzte behandeln in ihren Praxen noch Suchtpatienten.
Auch in der Salzstraße ist die Zukunftungewiss: „In fünf bis acht Jahren hören wir auf. Mal sehen, ob wir einen Nachfolger finden“, überlegt Dr. Schaffert. Er und sein Kollege betreiben die Praxis an 365 Tagen im Jahr. Am Wochenende übernehmen zwei angestellte Ärzte und geben die computergesteuerte und dokumentierte Milliliter-Dosis aus dem Automaten an die Patienten aus. Nur wenige bekommen die Dosis für ein paar Tage mit nach Hause.
Von den mehr als 720 in Stadt und Landkreis behandelten Methadonpatienten werden mehr als 500 von der Jugend- und Suchtberatung Heilbronn psychosozial betreut: in der Beratungsstelle Kaiserstraße oder an drei Vormittagen pro Woche direkt in der Praxis in der Salzstraße. Die Stadt Heilbronn finanziert dafür aktuell 3,35, der Landkreis drei Vollzeitstellen. Weil auf einen Suchtberater nur 70 Klienten kommen dürfen, kann es vereinzelt zu Wartezeiten kommen. „Es gibt zu wenig Sozialarbeiter auf dem Markt und zu wenige, die an der Arbeit mit Suchtkranken überhaupt interessiert sind“, bedauert Suchtberatungsstellenleiterin Helena Resch.
Mangel herrscht zudem an Arzthelferinnen und an Ärzten, die in Suchtpraxen arbeiten möchten. Denn Suchtkranke gelten als schwierige Klientel. „Viele meiner Kollegen sind sich zu schade für diese Patienten. Suchtmedizin gilt als schmutzige Medizin“, schüttelt der Suchtmediziner frustriert den Kopf. Andere Patienten könnten wegbleiben, wenn sie auf Ex-Junkies treffen.
Dealer
Was sich ändern müsste? Schaffert nennt nur ein Wort: „Das System.“ Bei der aktuellen Rechtslage mache das niemand. „Wir sind doch per Gesetz als Drogendealer klassifiziert.“ Auflagen, Vorschriften, Kontrollen, akribische Dokumentation. Dafür gibt es keinen Euro mehr. Warum sie trotzdem dabei bleiben? „Wir sind von der alten Garde. Wir machen das mit Empathie und Enthusiasmus.“
Quelle: Heilbronner Stimme, Ulrike Bauer-Dörr